Peter Sengl im Gespräch mit Michaela Knapp

„Da möcht’ ich mich schon abgrenzen.“

Wien, Juni 2001

Du formulierst es selbst immer kurz und bündig: „Ich wollte schon als Kind Maler werden. Und so war es.“ War wirklich alles so einfach für Peter Sengl?
In meiner Volksschule gab es einen Zeichenwettbewerb, zwei  Kinder von der ganzen Schule wurden ausgewählt und zu einem Kurs geschickt: Ich war dabei. Ab da hat es mich zu interessieren begonnen. Das Malen hat mich auch durch die Mittelschule gehievt, denn ansonsten war ich ein schlechter Schüler. Ab meinem 12. Lebensjahr habe ich eigentlich täglich gemalt. Gemalt und Fußball gespielt. Ich habe mir vom Taschengeld Kunstbücher gekauft und mich schon früh mit Kubin, Velasquez und Picasso auseinandergesetzt, habe sie nachgemalt und mit dem Formenmaterial gespielt.

Gab es Vorbehalte des Elternhauses?
Wir hatten einen Deal: Wenn ich in der Mittelschule nicht durchfalle,
darf ich auf die Akademie gehen. Natürlich mit der Auflage
Kunsterzieher zu werden. Was ich nie erfüllt habe.

Nach den Studium an der Akademie folgte gleich die  erste Ausstellung im Grazer Forum Stadtpark, ein Jahr darauf eine in der Wiener Galerie Ariadne…
Wenn man das im Nachhinein betrachtet, hat das schon auch mit Glück zu tun. Aber auch mit einer gewissen Hartnäckigkeit. Man muß konsequent sein, in dem was man tut. Damals mußte man schon mit Mappen herumgehen, bis man bei einer halbwegs guten Galerie landete.

Ein Sengl-Bild erkennt man sofort: Tiere und Menschen, gefangen und verstrickt in einem obsessiv anmutenden System von Verklammerungen und Hintergrundraster. Gab es diese Motivvorlieben von Anfang an?
Auf der Akademie habe ich noch relativ schlechte Sachen gemacht, nach abstrakten Versuchen bin ich dann immer figurativer geworden. Aber Tiere haben mich in ihrer Vielfalt immer schon fasziniert. Und diese Kasteln und Raster, die es bei mir immer gibt, kommen eigentlich von den alten Tierkäfigen in Schönbrunn. In den 60er Jahren war ich oft viermal in der Woche dort. Bei mir ist ein Bild immer genauso groß wie es gehört. Darum male ich einen Rand herum. Ich versuche auch  immer die Dinge in einem gewissen Augenblick festzuhalten,  um das Charakteristikum zu vermitteln.  In letzter Zeit wenden die Frauen auf meinen  Bildern oft ihre Gesichter ab:  ein Kopf von hinten scheint mir interessanter, da weiß man nicht so genau, was auf der anderen Seite ist.

Dein Atelier entpuppt sich als  Sammel-Universum: erlesene Stücke aus der Möbelgeschichte, afrikanische Kunst und viele eigenwillige Objekte von einer ausgestopften Kuh bis zu Käferpräparaten…
Ich sammle viel, Alles was mich spontan formal anspricht. Ob Photos oder Muster, ich reiß mir das aus Zeitungen aus, sortier das Material einmal im Monat und klebe es in Hefte. Ich habe zum Beispiel eines nur mit Totenköpfen. Wenn ich also einen Totenkopf brauche, kann ich nachschlagen. So ist über die Jahre ein eigener Motiv-Fundus entstanden.  Wenn ich dann ein Bild anfange, blättere ich das Material durch und irgendein Detail spricht mich an. Ein Stück von etwas, eine Figur, ein Kopf. Von dem gehe ich dann aus und entwickle das Drumherum. Wenn man das traditionell sehen will, ist das fast so wie die ursprüngliche Formulierung des Surrealismus. Ein Automatismus. Man geht von einem zum anderen.  Ich zitiere auch sehr viel aus der Kunstgeschichte, spiele mit Motiven aus anderen Kulturen wie Afrika oder Asien, mische reale Dinge mit kunsthandwerklichen  Produkten.  Aber das ist immer nur in kleinen Details bemerkbar, denn mir geht es schon darum, daß vordergründig nicht sofort erkennbar ist, wo die Sachen herkommen.

Du montierst Trivialvorstellungen aus der Konsumwelt, Bildfragmente aus Film und Fernsehen zu einer eigenen grotesken Bildwelt. Die Bilder selbst funktionieren wie Assoziationsketten.
Während ich arbeite, denke ich eher nicht konkret. Ich komme mir wie
ein Ameise auf einer großen Fläche vor, die sich mühsam Spuren macht. Ich arbeite  schnell, weil ich selbst  auf das Ergebnis
neugierig bin. Denn wenn ich male, weiß ich noch gar nicht, ob das ein sogenanntes böses oder eher witziges Bild wird, ich gehe einfach mit realen Dingen abstrakt um.  Da ist ein Kopf, da eine Schuh –  dann überlege ich, wie könnte ich das formal verbinden. Zu  90 Prozent der Fälle bleibt aber davon wieder nichts über. Ich zeichne zum Beispiel eine sitzende Frau, die gefällt mir dann nicht mehr, dann laß ich nur einen Schuh davon  und baue eine ganz andere Figur dazu.  Und irgendwann kommt dann ein Affe raus. Am besten wäre es für mich, wenn ich 100 halbfertige Bilder vorrätig hätte.

Wann ist denn ein Bild fertig?

Eigentlich erst wenn es außer Haus ist. Denn solange ich die Dinge im
Haus habe, übermale ich sie ja immer wieder. Auch ältere Arbeiten sind "gefährdet". Das hat  mir natürlich auch schon leid getan.

Stört es Dich, wenn die Leute sagen, der malt grausliche Bilder?

Da gibt es viele Aspekte. Die Ablehnung der Betrachter meiner Bilder hat sich sogar verstärkt. Aus einem simplen, Grund, wie ich glaube: Weil das Detail und die Zeichnung um eine Spur realistischer geworden ist. Die früheren Arbeiten waren naiver, sind der vorgestellten Wirklichkeit nicht so nahe gekommen, haben harmloser gewirkt. Ich finde ja meine Bilder grundsätzlich nicht grauslich. Ein Bild kann nicht grauslich sein, selbst wenn –  wie bei „Judith und Holofernes“ –  das Blut spritzt, ist das formal und farbig toll. Aber vielleicht sehen  sich die Leute in ihren eigenen Gedanken ertappt.

Die bemühten Deutungen Deines Oeuvres reichen von „Glamourposen“, „nostalgiegeladene Spiele der Dekadenz“, „Wunschprojektionen“ bis zu   „Fetischkunst“.  Welcher würdest Du eher zustimmen?
Diese Begriffe stimmen natürlich bis zu einem gewissen Grad alle. Nur mit Sadomaso-Geschichten möchte ich nicht in Zusammenhang gebracht werden. Aber es interpretiert jeder ohnehin hinein,was er will. Eine zeitlang haben mich ja sowohl Frauenrechtlerinnen wie auch Frauengegner angefeindet. Die einen haben behauptet, ich greife die Frauen an, die anderen haben gesagt, ich unterstreiche, wie schlecht es ihnen geht. Für mich trifft weder das eine noch das andere zu. Ich habe kein Problem mit Frauen. Ich komme aus einem echten Matriarchat, wo es eine Großmutter gab, eine Mutter eine Tante, die haben das Geld verdient und  haben etwas zu sagen gehabt.

Deine AkteurInnen sind oftmals gefesselt, durchbohrt, in Gestänge und Verschraubungen eingezwängt. Ein perfektes Horrorkabinett. Alles nur formale Spielereien?
Wenn ich die für mich typischen Elemente weglasse, also  nur eine Frau mit Papagei malen würde, wäre mir fad. Ich brauche diese Spannung aus dem Abstrakten und dem Gegenständlichen. Da muß eine Schnittstelle im doppelten Sinne passieren. Sonst würde ich abstrakte Bilder malen. Bei den Abstrakten und den Informellen ist das Angebot an Dekorativem ja relativ groß. Aber ich kenne wenig Künstler, die heute halbwegs interessante gegenständliche Bilder malen. Da halte ich mich schon für eine wunderbare Ausnahme. Das klingt zwar überheblich, ich sehe das aber so.

Du stammst aus einem sehr katholischen Elternhaus, inwiefern hat Dich das religiöse Umfeld geprägt?
Mein Vater war Pfarrer und ich war gerne – wenn auch ein schlechter –  Ministrant. Ich habe den Geruch der Kirche geliebt, war von den religiösen Bildern beeindruckt, ich habe ja selbst  über 100  Papst- und Kardinalsbilder gemacht. Vielleicht stammt daher auch meine Affinität zum Tod. Für ein Großteil der Leute ist der Tod immer noch ein heikles Thema. Für mich aber gehört ein Gerippe, egal ob Mensch oder Tier, zum Schönsten überhaupt. Das Durchlässige, Dreidimensionale, Strukturelle –  das interessiert mich.

Hat Peter Sengl Anliegen, die er vermitteln will?

Mir ist es nie darum gegangen, gesellschaftliche Probleme aufzuzeigen, das interessiert mich nicht. Ich glaube auch nicht, daß Kunst wirklich etwas verändert. Ich habe in diesem Sinne also kein Anliegen. Ich habe meine Ansichten zu allen Dingen des Lebens, aber ich habe mich noch nie vor ein eigenes Bild gesetzt und gedacht, was könnte das jetzt für einen Rückschluß auf mich zulassen.

Manche Deiner frühen Bildphantasien scheinen längst vom Alltag eingeholt, Zeichnungen aus den 70er Jahren gleichen Modeentwürfen der Gegenwart.
Ich war mit vielen Themen der Zeit voraus.  Ich habe Anfang der 70er Jahre in Amsterdam sehr viele Transvestitenbilder gemacht, noch ehe das durch Festivals wie „Wien ist andersrum“ Eingang in die Kultur fand und zum breiten Thema wurde. Würde ich das heute machen, würde es gefällig wirken. Es wird jetzt schwieriger, Motive zu finden. Denn alle „Verformungen“, mit denen ich arbeite, finden langsam auch in der Alltagskultur statt. Da möchte ich mich schon abgrenzen.  Ich will eigentlich gar nicht, daß die Realität so ausschaut wie meine Bilder.

Teil der Arbeiten sind immer auch  sprachakrobatische Titel wie „Contemplationshocke hundeverstärkt“, „Affengleichgewichts-störungsgerät“ oder „Selbstporträt mit Hirnerweichung“…
Das entsteht eher banal, wie eine Beschilderung dessen, was ich sehe. Und da ich ja viele Bilder übermale, bezieht sich der Titel oft auch auf Sachen, die man gar nicht mehr sieht. Mittlerweile neige ich ja sogar dazu, längere Texte auf Bilder zu schreiben –  einfach, was ich mir assoziativ denke. Ein Spiel mit Begriffen.
 
Du bist mit einer durchaus nüchternen Berufsauffassung gesegnet – weit ab vom  romantisch verklärten Künstlertyp –  und nimmst auch Porträt-Aufträge an.
Das hat mich immer interessiert. Ein Porträt ist der Auftrag zur Interpretation einer Person. Und nachdem ich im weitesten Sinne eine Art „Collageur“ bin, arbeite ich dann mit Versatzstücken aus dem Umfeld des Betreffenden, brauche also nicht in meinen Fundus suchen…

Deine Arbeiten zeugen von höchst skurrilem Humor. Wie wichtig ist Dir Ironie im Alltag?
Ich bin kein so ernsthafter Mensch, der permanent über die Probleme der Welt nachdenkt. Im Gegenteil: Wenn es mir zu ernst wird, sage ich einen blöden Satz und laß das Ganze kippen. Auch , und vor allem im sogenannten Alltag. Das ist natürlich nicht unproblematisch. Aber so bin ich. Vielleicht ist das ja auch eine Art Panzer. Ich ironisiere sozusagen meine Angst.

Höchst ernsthaft betreibst Du jedenfalls die Selbststilisierung. Detailverliebt wie in Deinen Bildern ist auch beim Outfit immer alles abgestimmt. Bist Du ein Dandy?
Sagen wir: Mir ist nicht egal, was ich anhabe. Darauf habe ich schon mit 13 Jahren Wert gelegt. Ich liebe Leute, die anders sind, also jede Art von  Individualismus. Es heißt, ich bringe reihenweise die Schneider ins Grab.
 
Seit 1965 sind die Künstlerin Susanne Lacomb und Du ein Paar, ein Kosmos, nicht mehr auseinander dividierbar.Wie hat man sich die Lebensinszenierung vorzustellen?
In der Arbeit bin ich abgekoppelt. Dieser  Freiraum ist sehr wichtig. Sonst machen wir alles gemeinsam. Bei meinen eigenen Arbeiten sind wir oft uneins,  aber wenn  wir eine Ausstellung besichtigen, bleiben wir, auch unabhängig voneinander, bei den gleichen Bildern stehen. Das hat sich aber nicht erst durch  das lange gemeinsame Leben entwickelt – das war schon immer da.

Michaela Knapp lebt als Kulturjournalistin in Wien.


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